Dr. Pedro González ist Sportwissenschaftler, DFB-Trainer und Triathlet aus Leidenschaft. Lange Zeit hat er den FC St. Pauli und Fußballspieler wie Mats Hummels, Toni Kroos und Thomas Müller zu ihren besten Leistungen gebracht. Aktuell trainiert er den Bundesligaspieler von Werder Bremen Max Kruse. Wir haben den Sport- und Gesundheitsexperten gefragt, wie viel Bewegung normale Menschen brauchen und welcher Sport der richtige für unseren Bürostuhl-geplagten Körper ist.
Gerade trainierst du für den Ironman. Wie sieht dein tägliches Sportpensum aus?
Das ist mein vierter Ironman in drei Jahren, und in diesem Jahr mache ich sogar zwei: in Hamburg und Barcelona. Die Vorbereitung dauert acht bis zehn Monate, und ich trainiere mindestens zehn Stunden die Woche. Zum Vergleich: Profis trainieren ungefähr 40 Stunden die Woche. Natürlich machen sie das hauptberuflich und sind noch in dem Alter, in dem sie schneller regenerieren. Mit meinen 48 Jahren merke ich deutlich, dass ich nicht so viel trainieren kann wie mit 25.
Nicht jeder ist so athletisch wie du – oder kann so viel Zeit investieren. Wie viel Bewegung braucht ein ganz durchschnittlicher Büromensch?
Grundsätzlich gilt: Je natürlicher wir leben, desto gesünder sind wir. Steinzeitmenschen sind täglich zwischen 20 und 30 Kilometer gegangen. Zum Vergleich: Der Durchschnittsdeutsche legt am Tag gerade einmal 800 Meter zurück. Das ist viel zu wenig für unser Herz-Kreislauf-System. Nun kann nicht jeder alle zwei Tage die Distanz eines Marathons laufen. Realistisch und leicht über Wearables zu tracken sind 8.000 bis 10.000 Schritte. Je nach Schrittlänge wären es sieben bis zehn Kilometer, sei es beim Hund ausführen oder mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Eine bis anderthalb Stunden Bewegung am Tag – wohlgemerkt, nicht Sport, sondern nur Bewegung – damit erreicht man schon, dass man, salopp gesagt, mit 80 und nicht mit 60 stirbt.
Viele von uns fahren mit dem Auto zur Arbeit, sitzen den ganzen Tag im Büro und abends vor dem Fernseher. Warum ist Dauer-Sitzen so gefährlich?
Im Laufe der Evolution haben wir uns zwar aufgerichtet, jedoch ist unser Muskelapparat für das Dasein eines Vierbeiners konstruiert. Wenn man dann noch acht Stunden am Tag sitzt, reicht die Bewegung für die Muskeln nicht mehr aus: Sie verkümmern, gerade im Bereich der Lendenwirbelsäule, deshalb kommt es ab 40 oft zu Bandscheibenvorfällen. Auch die Knochen werden weicher, Osteoporose ist bei vielen Senioren ein Problem. Leider raten die meisten Mediziner zur Schonung, was den Teufelskreis noch verschärft. Das beste Medikament ist Bewegung. Kein Leistungssport, sondern normales Gehen, Wandern, Gartenarbeit, Hund ausführen.
Gerade sind Stehtische in. Kann das eine Lösung sein?
Absolut. Die griechischen und römischen Gelehrten haben vorwiegend im Stehen gelesen, geschrieben und ihre Vorträge gehalten. Das Sitzen ist eine neuzeitliche Erfindung, zum Beispiel gab es das Dauersitzen in Verkehrsmitteln noch nicht vor 100 Jahren. Natürlich ist stundenlanges Stehen ebenso problematisch. Auch ein Pferd steht nicht stundenlang. Ich würde zur Bewegung zwischendurch raten, und auch zu einem Mittagsschlaf.
In den meisten Büros ist der Mittagsschlaf allerdings noch nicht so akzeptiert.
In Japan ist es durchaus üblich. Auch in Silicon Valley setzt sich das durch: Bei Google gibt es Schlafräume und Entspannungsmöglichkeiten. Ich komme aus dem Leistungssport, da ist es natürlich sinnvoll, Mittagsschlaf zu halten, um in der zweiten Tageshälfte leistungsfähiger zu sein.
Es heißt, dass Sport sich auch auf mentale Leistungsfähigkeit auswirkt – ist da etwas dran?
Da gibt es das berühmte Beispiel von Lothar Matthäus: Was ist da los, der hat doch so viel Sport getrieben? Natürlich beanspruchen gerade taktische Sportarten wie Tennis auch kognitive Leistungsfähigkeit. Noch wichtiger aber ist der Stressabbau. Es ist wie mit einer Festplatte: Je mehr Programme ich lade, desto langsamer funktioniert sie. Je mehr ich arbeite und je weniger ich mich bewege, desto gestresster und leistungsschwächer bin ich. Man merkt ja, dass ein Spaziergang in der Mittagspause oder ein Fußballspiel am Wochenende einen ausgeglichener machen. Durch Bewegung werden Stresshormone abgebaut – man fühlt sich glücklicher und hat mehr Energie.
Sind unsere Festplatten sozusagen dauerüberladen?
Ja, wenn man den Steinzeitmenschen als unsere „Hardware“ ansieht, sind wir dazu gemacht, vom Sonnenaufgang bis zum -untergang aktiv zu sein. Ansonsten war es stockdunkel, es gab keinen Fernseher und kein Handy. Die Reize konnten so über die Nacht verarbeitet werden. Heute haben wir da ein krasses Missverhältnis: Keine Bewegung, ungünstige, kohlenhydrat- und zuckerlastige Ernährung. Und nicht zuletzt: Steinzeitmenschen haben beim Kämpfen und Jagen Aggressionen abgebaut. Das geht im Großraumbüro eher schlecht. Wenn dann noch Bewegung fehlt, entstehen psychische Überlastungen, die oft im Suchtverhalten gipfeln. Sie durch Sport abzubauen wäre viel natürlicher.
Bewegung, gesunde Ernährung und Mittagsschlaf: Check. Wie kann ich noch fitter werden?
Gerade wenn man viel Sport macht, ist der Bedarf an gewissen Vitaminen oder Mineralien besonders hoch. Ich empfehle gerade Leistungssportlern immer, alle vier Wochen ihre Blutwerte untersuchen zu lassen: von Vitamin D über Eisen bis zu Hormonen wie Cortisol. So kann ich mein Training steuern, meine Ernährung optimieren und damit meine Regeneration und meine Leistung verbessern.
Joggen, Krafttraining, Gymnastik – wie suche ich die richtige Sportart für mich aus?
Wie so oft im Leben ist die goldene Mitte am besten: etwas Cardiotraining für das Herzkreislaufsystem, Krafttraining, um die Muskeln zu stärken und ganz wichtig: etwas für die Beweglichkeit tun. Sonst entstehen Muskel- und Gelenkverletzungen. Das alles abzudecken wäre super. Ich empfehle, nicht immer das Gleiche zu machen, also nicht nur Joggen oder nur Krafttraining. Auch Stressmanagement ist in unserer Zeit sehr wichtig: Sauna, Massagen, Wellness.
Und was ist besser: morgens oder abends Sport zu machen?
Jeder kann es nachempfinden: Wer sich nach dem Aufwachen sofort bewegt, geht mit einer ganz anderen Kraft durch den Tag. Allen, die abnehmen wollen, rate ich zum Sport auf nüchternen Magen, weil über Nacht die Kohlenhydrate verbrannt werden und man von der ersten Minute an Fett verbrennt. Ansonsten ist es Geschmackssache. Ich mache lieber abends Sport als um sechs Uhr früh. Aber unser Körper verträgt Sport zu allen Tageszeiten. Da gibt es keine Ausrede.